Städte & Kultur
Kulturhauptstädte: Großer Auftritt auf der europäischen Bühne
Seit 1985 stehen mindestens eine, meist zwei oder gar mehr EU-Städte für ein Jahr im kulturellen Rampenlicht – meist mit Top-Ausstellungen und Kunstprojekten aller Art. Manche langfristigen Errungenschaften machen die Kandidaten aber auch danach besonders attraktiv.
Essen & Ruhrgebiet: Auf Kohle folgt Kultur
Kumpel, Stahl und jede Menge Kohle - dafür stand das Ruhrgebiet früher. Heutzutage sind die Zechen stillgelegt, die Industriegelände zu Freizeitarenen, Wohnräumen oder Kulturflächen umgebaut. Diese Transformation rückte, unterstützt durch das Motto „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“, mit dem Kulturhauptstadtjahr 2010 ins europäische Rampenlicht. Auch deshalb, weil erstmals eine ganze Region den Titel trug, genauer ein Verbund von 52 Städten und Gemeinden, die den größten Ballungsraum Deutschlands bilden. Federführend war dennoch eine Stadt: Essen. Gleich mehrere damalige Neueröffnungen bereiten dort auch langfristig Freude, allen voran der David-Chipperfield-Neubau des modernen Museums Folkwang und das in der Zeche Zollverein befindliche Ruhr Museum, das sich als Gedächtnis des Ruhrgebiets versteht. Zudem schafften es einige, damals besonders geförderte Kreativquartiere, in denen Stadtentwicklung durch Kultur betrieben werden sollte, in die Gegenwart. In der Bochumer Weststadt sorgen seitdem Galerien, Ateliers und Kneipen ebenso wie in Dortmund rund um die Rheinische Straße und in Gelsenkirchens Stadtteil Ückendorf für kreative Atmosphäre.
Berlin: Hauptstadt der Kunst und Kultur
Berlin zieht Kreative, Künstler, Kulturliebhaber und Theaterfans so stark an wie kaum eine andere Stadt. In Zahlen ausgedrückt: In der Spree-Metropole gibt es mehr als 170 Museen, Sammlungen und Gedenkstätten (die insbesondere an die jüdische Kultur sowie die NS- und DDR-Zeit erinnern), 400 Galerien, vier Opernhäuser und sieben große Sinfonieorchester, plus etwa 150 Theater (darunter mit dem Friedrichstadt-Palast die größte Theaterbühne der Welt). Von den vielen Clubs und Subkulturstätten ganz zu schweigen. So gesehen betrachten viele Berlin zu Recht als dauerhafte europäische Kulturstadt. 1988 trug die Stadt, wenngleich damals „nur“ der abgeschottete Westteil, diesen Titel ganz offiziell. Und sorgte für einige Impulse: So bekamen mehrere Theater, etwa das heute als „HAU“ bekannte Hebbel-Theater elementaren Support. Zudem wurde der Europäische Filmpreis, Geburtsname Felix, gegründet – damals eine Sensation. Überhaupt Europa: Wer hätte gedacht, dass sich das Kulturstadtmotto „Berlin in der Mitte Europas“ mit dem Fall der Mauer im Jahr 1989 so rasch erfüllt?
Weimar: Mehr als nur Klassik
Schon Goethe urteilte über seine jahrzehntelange Wirkungsstätte: „Wo finden Sie auf einem so engen Fleck noch soviel Gutes wie in Weimar?“ Diese Einschätzung gilt durchaus auch rund 200 Jahre später. Zu besichtigen sind gleich elf, nicht weit voneinander entfernte Ensembles des UNESCO-Welterbes „Klassisches Weimar“. Dazu zählt die sagenhafte Herzogin Anna Amalia Bibliothek ebenso wie das Stadtschloss und die Wohnhäuser von Goethe und Schiller. Allein diese Ballung, welche die Bedeutung Weimars als europaweit geistig-kulturelles Zentrum im 18./19. Jahrhundert vergegenwärtigt, wäre Argument genug für eine Nominierung zur Kulturhauptstadt 1999 gewesen. Doch die thüringische Stadt an der Ilm überzeugte mit weiteren Argumenten: zum einen mit einer viel versprechenden Entwicklung nach dem damals noch frischen Ende der DDR-Zeit. Zum anderen gründete Walter Gropius ja hier das weltberühmte Bauhaus, wovon das ebenfalls zum Welterbe gekürte „Haus am Horn“ und das neue Bauhaus Museum Weimar erzählen. Das Haus der Weimarer Republik schließlich beleuchtet ein weiteres, Anfang des 20. Jahrhundert unerhört mutiges Projekt: die erste deutsche Demokratie.
Chemnitz: Germany’s next top city
2025 ist Deutschland wieder an der Reihe, die Kulturhauptstadt Europas zu stellen. Die Wahl fiel dabei auf Chemnitz. Zum einen gibt es wenige Städte, in denen Industrialisierung und Gründerzeit, Jugendstil und Bauhaus, Realsozialismus (Stichwort: die damalige Karl-Marx-Stadt wurde zur Musterstadt des Sozialismus aufgebaut) und Postmoderne so unterschiedliche Spuren hinterlassen haben und es daher zwangsläufig viel zu erzählen gibt. Zum anderen hat sich das einstige „sächsische Manchester“ wohl auch aufgrund des interessanten Konzeptes „C the Unseen“ durchgesetzt. Selbst wenn am finalen Programm noch eifrig gebastelt wird, sind doch einige Grundideen recht konkret. Etwa der Purple Path, ein Kunstparcours, der sich im Jubiläumsjahr durch die gesamte Kulturregion ziehen soll und Kunst im öffentlichen Raum hervorheben und neu entstehen lässt. Ferner sollen über „die Kultur des Machens“ kreative Köpfe verbunden werden. Der Clou: Diese Netzwerkorte entstehen, so der Plan, in rund 3.000 Garagen. Eindeutig im Freien wird die „Allee der Apfelbäume“ zu finden sein. Ob sie auch am Karl-Marx-Monument oder am Wasserschloss Klaffenbach vorbeiführen wird?